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Predigt von 1. Joh 4,7-12 am 13. S. n. Tr. 2023 in Lohra

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des
Heiligen Geistes sei mit euch allen.


Der Predigttext für diesen Sonntag ist ein Abschnitt aus dem 1. Johannesbrief. Dort heißt es
im 4. Kapitel:


7 Ihr Lieben, laßt uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist
von Gott geboren und kennt Gott. 8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die
Liebe. 9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn
gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 10 Darin besteht die Liebe: nicht,
daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur
Versöhnung für unsre Sünden.


11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 12
Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns,
und seine Liebe ist in uns vollkommen.
Liebe Gemeinde!


All you need is love!, dieser Titel der Beatles ist mir eingefallen, als ich den Predigttext
gelesen habe. Alles, was du brauchst, ist Liebe. Und ich will sagen: Ja! So ist es! Diese Welt
braucht mehr Liebe. Und das sehr konkret: Hinschauende Liebe, helfende Liebe, solidarische
Liebe, tröstende Liebe.


15 Mal kam das Wort „Liebe“ oder „geliebt“ in den 12 Versen vor, die ich gerade verlesen
habe. Fast ebenso oft wurde Gott genannt.


Gott und Liebe gehören zusammen. Und aus der Gewissheit, dass Gott uns liebt, folgt die
Aufforderung an uns, dass auch wir uns untereinander lieben. Klingt einfach, ist es aber nicht.
Weil Liebe, menschliche Liebe nicht einfach, sondern sehr komplex ist.
Es gibt ja beispielsweise Menschen – gerade unter uns Christ*innen –, die scheinbar nur oder
vor allem den anderen im Blick haben, die sich verschenken, sich aufopfern. Sie können sich
gewiss auf die Religion der Bibel berufen, weil sie eine Religion der Liebe ist. Aber die
Religion der Bibel sieht auch den liebenden Menschen sehr realistisch.
Unsere Liebe stößt an Grenzen: zum Beispiel am Anderen, der es uns unendlich schwer
macht, ihn zu lieben, der oft gar nicht liebenswert erscheint.
Liebe kann auch grenzenlos werden, so dass Menschen sich selber verzehren und kraftlos
werden. Das geschieht immer dann, wenn das Gleichgewicht des Gebotes „Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst“ verloren geht und das „Wie-dich-Selbst“ dabei aus dem Blick gerät.
Menschen in Doppelbelastung für Familie und Beruf oder in sozialen Berufen, die
Verantwortung für andere tragen, etwa für Schwächere, müssen oft um dieses Gleichgewicht
ringen.


Die Liebe: Gar nicht so einfach mit ihr. Weder die rosarote Brille, noch die totale
Selbstaufgabe, noch die Lieblosigkeit sollen es sein. Ja, was denn dann?
Das erste, was unser Predigttext macht: Er stellt einen wichtigen Zusammenhang zwischen
Gott und der Liebe her: „9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen
eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 10 Darin besteht
die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt
seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
Hier wird die göttliche, himmlische Liebe geerdet. Es kommt nämlich auf die richtige
Reihenfolge.


An erster Stelle ist da die Liebe Gottes zu uns. Und sie besteht ganz konkret in der Sendung
seines Sohnes, damit wir leben können. Und Leben können wir anscheinend nur, wenn da
Versöhnung geschieht für unsere Sünden.
Dass Gott uns liebt, hören wir gerne. Dass seine Liebe darin besteht, durch Jesus unsere
Sünde zu überwinden, zerknirscht uns vielleicht erstmal, bevor es uns zum Leben befreit.
Denn wir werden damit konfrontiert, dass wir oft sehr verwirrte, verzweifelte und
orientierungslose Wesen sind. Selbst da, wo wir meinen zu lieben, sind wir doch oft verstrickt
im Wirrwarr unserer Gefühle und verwoben in manche Zwänge unserer Psyche. Unsere Liebe
ist nicht frei von Irrtum und Missverständnis und Eitelkeit und Selbstliebe. Denn selbst wo
wir meinen zu lieben, sind wir im Stande, das Wertvollste, die Liebe selbst, zu verraten. Das
ist die Erfahrung, die Judas macht und auch Petrus. Eine Erfahrung, mit der zu leben sehr
schwer ist. Deshalb bedürfen wir der „Versöhnung“, wie es im Text heißt.
Glauben heißt, dann darauf zu vertrauen, dass es eine Liebe gibt, die aus uns oft so verlorenen
Wesen gefundene Gotteskinder macht, eine Liebe, die stärker ist als Verrat und Kreuzestod.
Wo wir diese Liebe zu spüren bekommen, keimt Hoffnung auf mitten in unserer
Verzweiflung auf, finden wir uns wieder etwas zurecht in unserem Chaos, fangen wir an, zu
leben auch im Angesicht des Todes. Das ist das Erste: diese unübertreffliche Liebeserklärung
Gottes.


Das zweite ist dann die Aufforderung: 7 Ihr Lieben, laßt uns einander lieb haben; denn die
Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.
Der Verfasser des 1. Johannesbriefes hält es für nötig, daran zu erinnern, dass wir Christen
auch einander lieben sollen. Offenbar hatte er Menschen in den christlichen Gemeinden vor
Augen, denen vor allem eines wichtig war, zu zeigen, wie fromm sie sind. Wie es um das
Verhältnis zu ihren Mitmenschen stand, war demgegenüber zweitrangig. Das wäre ungefähr
so als ob wir heutzutage sonntags immer schön den Gottesdienst besuchen, es uns aber
ziemlich egal ist, wie es um die Menschen um uns herum, wie es um diese Welt steht.
Angesteckt von der Liebe Gottes kann und soll unsere Liebe zueinander sehr konkret werden.
Jesus hat das im Gleichnis vom barmherzigen Samariter ganz deutlich gemacht. Wir haben es
gerade in der Schriftlesung gehört.


Christliche Liebe ist eine universale Liebe. Sie schert sich nicht um Grenzen der Religion, der
Nationalität oder des Standes. Jesus hat dafür das beste Beispiel gegeben: Er hat sich in
besonderer Weise denen zugewandt, die nicht den Maßstäben entsprachen, die Religion und
Gesellschaft zu seiner Zeit vorgegeben hatten, die nicht dazugehört haben.
Nicht der Priester und nicht der Levit werden dem, der da unter die Räuber gefallen ist zum
liebenden Nächsten, sondern der Mann aus Samarien, ein Ungläubiger. Er wird zum Beispiel
für die Liebe zum Nächsten. Ja, diese Liebe soll sogar unser Freund-Feind-Denken und –
Handeln überwinden. Sie sucht und sieht im Feind den Menschen, der nicht einfach nur böse
ist, sondern genau wie ich in der Lage ist, die Liebe Gottes zu verraten und zu verleugnen.
Für Menschen, die Jesus nachfolgen, kann sich die Liebe nicht auf eine bestimmte Gruppe
von Menschen beschränken, sondern gilt allen.


Christliche Liebe ist eine aufmerksame Liebe. Der Samariter schaut hin. Er sieht die Not, die
ihm da vor die Füße gelegt ist und lässt sich von ihr anrühren.


Christliche Liebe ist dann konkrete, handelnde Liebe. Der Samariter tut wirklich etwas. Er
redet nicht nur über die schlimmen Missstände, er stellt keine Theorien auf, sondern er
handelt. Nachdem er die Not gesehen hat und sich auch von ihr hat anrühren lassen, wendet er
sich dem Hilfsbedürftigen wirklich zu und versucht seine Not zu lindern.
Und Christliche Liebe ist eine bescheidene Liebe. Sie weiß um die Grenzen der
Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen und sucht sich deshalb Unterstützer. Der Samariter
gibt sich nicht auf, sondern er gibt ab. Er delegiert, indem er den Wirt mit ins Boot nimmt und
ihn für die Pflege des Verletzten bezahlt. Wo wir als einzelne mit unseren Kräften an eine
Grenze stoßen, ist es auch Ausdruck der Liebe diese Grenzen zu wahren und sich
Unterstützung zu suchen.


All you need ist love? Ja schon. Aber auf sehr bestimmte Weise. Zuerst liebt Gott uns. Diese
Liebe ist die Quelle für unsere Liebe. Und die ist kein romantisches Gefühl, sondern
universale, aufmerksame, konkrete und bescheidene Liebe.
Ihr Lieben, laßt uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist
von Gott geboren und kennt Gott.


Amen