Liebe Gemeinde!
I. Betet!
Vor allen Dingen betet! So der Tenor dieser Zeilen. Beten ist offensichtlich nicht
selbstverständlich. Damals nicht, sonst müsste der Briefeschreiber nicht dazu auffordern. Und
heute ebenso nicht. Wie wichtig ist Ihnen das Gebet? Was bedeutet es für Sie, zu beten?
Für mich ist Beten wie eine Tür in einen Raum, der anders nicht zu betreten ist. In diesem
Raum sehe ich ab von meinen Aktivitäten, meinem Tun, meinen Verdiensten, meiner Ratund Hilflosigkeit. Ich gewinne Abstand zu mir und zugleich komme ich mir irgendwie näher.
Ich lege mein Leben und das der Menschen, für die ich bete, in Gottes Hände. Diese Tür, das
Gebet ist mir deshalb so kostbar und unverzichtbar.
Das scheint anderen Menschen ähnlich zu gehen. Selbst solchen, die sonst nicht viel anfangen
können mit Glaube und Kirche. Sie kommen und füllen Kirchen, stimmen ein in fremde
Gebete und suchen nach Stille. Wir haben es erlebt, beim Terroranschlag auf dem
Breitscheitplatz in Berlin, bei der Flutkatastrophe im Aartal, bei Ausbruch des Krieges in der
Ukraine; immer wieder in Zeiten der Gefährdung, der Verunsicherung haben wir es erlebt:
Gebete um Frieden, um die Bewahrung der Schöpfung, für die Kranken, die Einsamen, die
Leidenden, all diese Gebete und Fürbitten sind Türen, die zu öffnen wichtig ist für alle
Menschen. Menschen leihen sich da von uns Worte, wo sie selbst vielleicht keine mehr
haben. Sie betreten Räume, die ihnen sonst verschlossen blieben. Manchmal bleibe ich
innerlich stumm und verschlossen. Ich kann nicht beten, weil ich Gott keine Rolle mehr in
meinem Leben einräume. Oder weil Gott nicht zu antworten scheint. Wenn die Krankheit
nicht zu heilen ist, wenn ein Mensch sterben muss, trotz aller stillen und lauten Gebete. Wenn
sich so gar nichts ändert, so sehr ich es mir auch wünsche. Dann frage ich mich: Was soll ich
denn jetzt noch beten?
Gut, wenn mir dann jemand hilft, wenn jemand mit mir aushält, dass Gott gerade schweigt.
Jemand, die für mich und mit mir weiter betet. Die mir hilft, in der Stille zu hören. Denn
Beten ist auch Hören. Die mir vielleicht nur wenige Worte leiht, die ich beten kann, damit der
Faden zu Gott nicht reißt. Beten hat seine sehr persönliche Seite und zugleich ist das
öffentliche Gebet offensichtlich von großer Bedeutung.
Vor allen Dingen also: Das Gebet ist wichtig.
II. Betet für alle
Vor allen Dingen betet, hieß es im Predigttext, und zwar für alle Menschen.
Im Gebet wenden wir uns an Gott, von dem wir glauben, er ist der Schöpfer der Welt und
aller Menschen und von dem wir hoffen, er werde sich als liebender Vater aller Menschen
erweisen. Indem wir uns im Gebet an diesen Gott wenden, wird unser Blick geweitet. Er geht
über den Dank für unsere Lieben hinaus. Er geht auch über die Bitte für die, die uns am
Herzen liegen hinaus. Auch die Menschen, mit denen wir uns schwer tun, sollen wir mit
hineinnehmen in unser Gebet, auch unsere zerrütteten Beziehungen vor Gott bringen. „Gott
will, dass alle Menschen gerettet werden.“ Um alle Menschen muss es gehen, wenn wir beten,
dazu mahnt der Predigttext.
Manchmal fällt das sehr schwer. Im Kleinen wie im Großen. Für den zu beten, der mich tief
verletzt hat. Für die zu beten, die Hass predigen und Gewalt ausüben.
Und noch weiter geht der Blick in die Welt hinein, die in unseren Tagen weit entfernt ist von
Frieden und Gerechtigkeit.
III. Betet für auch für die Obrigkeit, damit Frieden und Religionsfreiheit herrschen
Betet für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen
können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
Hier kommen die politisch Verantwortlichen in den Blick. Auch sie nimmt der
Briefeschreiber mit hinein in das Gebet.
Auf unsere Politikerinnen und Politiker wird viel geschimpft in diesen Tagen. In Krisenzeiten
werden immer Sündenböcke gesucht und in die Wüste geschickt. Damit macht man es sich zu
einfach. Natürlich ist Kritik für den Erhalt der Demokratie wichtig und wünschenswert. Aber
Beschimpfungen und Sündenbockmentalität sind wenig konstruktiv.
Der Predigttext schlägt stattdessen vor, für die politisch Verantwortlichen zu beten und
benennt dabei gleich deren Aufgabe: damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in
aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
Es ist wichtig, dass wir für die politisch Verantwortlichen beten. Sie tragen die Last, dafür zu
sorgen, dass Menschen still und ehrbar leben können. Im Bibeltext klingt das nach
angepassten, ängstlichen Menschen. Das Gegenteil ist gemeint: dass alle Menschen in gut
geordneten Verhältnissen in Friedenszeiten leben und sich nicht fürchten müssen, wenn sie
ihre Meinung oder ihren Glauben leben. Danach sehnen sich die Flüchtlinge aus den
Kriegsgebieten und Verfolgte in aller Welt: nach Frieden, nach Achtung ihrer
Menschenwürde, nach Demokratie und Religionsfreiheit. Schauen wir so auf unsere
politische Landschaft, weckt das in mir – bei aller Kritik – eine große Dankbarkeit dafür, in
einem immer noch reichen Land mit geordneten Verhältnissen in Frieden leben zu dürfen.
Beten wir für unsere Politikerinnen und Politiker, wissend dass es Menschen sind, auf denen
eine große Verantwortung lastet. Sie müssen klar und besonnen bleiben. Sie brauchen den
Geist Gottes, ganz gleich, wie fromm sie sind und woran sie glauben. Sie müssen jeden Tag
entscheiden, manchmal unter großem Druck, oft ohne dass sie alle Folgen absehen können.
Sie brauchen Gottes Segen zu ihrem Tun, damit Gutes daraus wächst.
IV. Betet für die Erkenntnis der Wahrheit
Alle Menschen sollen zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Das ist das Ziel des Gebets:
Dass alle Menschen von der Liebe Gottes ergriffen werden, wie sie sich für uns in Jesus
gezeigt hat. Es geht nicht darum, anderen Konfessionen und Religionen ihre Wahrheit
abzusprechen. Wenn wir um die Erkenntnis der Wahrheit bitten, heißt das für mich, darum zu
bitten, dass Gott sich für alle Menschen als Vater, Mutter oder auch Kraft voller Güte und
Barmherzigkeit erweise, auf dass wir uns als Menschengeschwister in Güte und
Barmherzigkeit verbunden wissen. Auf welchem Weg Gott das dann vollbringt, können wir
getrost ihm überlassen.
V. Das Gebet geht weit, weil Gott weit geht
Betet! Betet für alle, auch die politisch Verantwortlichen! Betet für die Erkenntnis der
Wahrheit. So weit geht das Gebet. Weil Gott so weit geht. Jesus Christus hat für seine
Verfolger gebetet, noch am Kreuz: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Sein Leben und Beten verbindet Himmel und Erde, Gott und Mensch. An Jesus wird sichtbar,
dass Gott es ernst meint. Allen, wirklich allen Menschen, soll geholfen werden.
Vor allen Dingen betet!
Beten verändert die Betenden und damit auch die Welt. Es macht das Herz weiter, öffnet
Türen, die vorher verschlossen waren, verwandelt Todesenge in Lebensweite. Dafür braucht
es Worte, die daran erinnern, wie weit Gottes Liebe geht. Und es braucht die Stille, damit wir
uns auf diese Weite einstellen können.
Amen