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Predigt von Joh 16,16-23a am Sonntag Jubilate 2023 in Seelbach

Gnade und Friede sei mit euch, die ihr in Christus seid.
Amen

Der Predigttext für diesen Sonntag Jubilate ist ein Abschnitt aus den sogenannten
Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium. Ich lese aus dem 16. Kapitel:
16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine
Weile, dann werdet ihr mich sehen. 17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was
bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen;
und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? 18
Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht,
was er redet. 19 Da merkte Jesus, daß sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach
fragt ihr euch untereinander, daß ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr
mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? 20 Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr
werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. 21 Eine Frau,
wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das
Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß ein Mensch
zur Welt gekommen ist. 22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch
wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Liebe Gemeinde!
Ende gut alles! Und wenn es noch nicht alles gut ist, dann ist es eben noch nicht das Ende.
Irgendwann, so Jesus werdet ihr mich wiedersehen und dann wird alles gut sein. Ihr werdet
nicht einmal mehr Fragen haben. Nur noch Antworten, Klarheit, Seligkeit. Hilft mir diese
Aussicht, diese Verheißung? Jetzt und hier mit meinen vielen Fragen? Wir schauen wieder
auf Ostern zurück. Vor drei Wochen haben wir den Sieg Gottes über den Tod gefeiert. So
formulieren wir es ja immer wieder. Und so eine Osternacht oder die Osterlieder können auch
etwas von dieser Osterfreude in mir auslösen! Heute am Sonntag Jubilate werden wir ja
wieder konkret dazu aufgefordert zu jubeln! Gott zu loben, uns zu freuen!
Ich muss aber doch gestehen, dass mir das Jubeln manchmal doch im Hals stecken bleibt. Da
bin ich bei den Jüngern mit ihrer Ratlosigkeit: Was bedeutet das alles? Ihr werdet mich nicht
sehen und dann nach einer Weile werdet ihr mich wiedersehen! Wie können wir den Sieg
Gottes über den Tod feiern, wenn wir Menschen uns immer wieder und derzeit immer mehr in
todbringende Konflikte und Kriege stürzen: im Sudan, in der Ukraine, im Jemen. Die Liste
lässt sich leider fortsetzen. Was bedeuten Ostern und die frohmachende Botschaft vom Reich
Gottes angesichts einer Welt, in der weiterhin Dinge geschehen, die nach Klage und Trauer
schreien, nicht nach Jauchzen und Freude? Was bedeutet die österliche Hoffnung für mein
Leben, wenn ich mitten drinstecke in meiner persönlichen Hölle aus Verzweiflung und
Traurigkeit?
Manchmal mag da die Aussicht auf „bessere Zeiten“ helfen, vielleicht sogar trösten. Aber ich
muss zugeben, dass mir das Warten manchmal sehr lang, ja, auch zu lang wird. Jede
Erwartungsspannung hat irgendwann eine Grenze, und jede Hoffnung verliert ohne konkretes
Ziel am Ende ihre Kraft. Aus Trost wird billige Vertröstung, wenn ich immer nur gesagt
bekomme: Es wird schon irgendwann besser. Noch schlimmer: Du musst nur einfach ganz
fest daran glauben! Wenn es dann nicht besser wird, noch nicht besser wird, liegt auch noch
die Last auf meinen Schultern, eben nicht genug geglaubt zu haben.
Ein andere, heilsamere Perspektive bietet Jesus hier an, indem er sagt: „Eure Traurigkeit soll
in Freude verwandelt werden.“ Klar, hier geschieht auch etwas nacheinander. Erst ist da
Traurigkeit und später dann Freude. Der kleine, aber ganz feine und wichtige Unterschied ist,
dass die Traurigkeit hier von Jesus gesehen und sogar gewürdigt wird! Er vertröstet nicht
einfach nur auf ein „Später“, sondern sieht die Traurigkeit und die Fragen und die Not im
Hier und Jetzt. Und von solch einer Sicht geht schon Trost aus! Da sieht mich jemand – mit
allem, was mich ausmacht, auch dem Schweren.
Und das Schwere, die Fragen, die Zweifel werden nicht nur gesehen und gewürdigt. Jesus
sagt darüber hinaus: „Eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.“ All die Last, die
wir hier auf dieser Erde und in unserem Leben manchmal zu tragen und zu erleiden haben,
sind wesentlicher Bestandteil eines schöpferischen Verwandlungsprozesses. Nicht
irgendwann in einer fernen Zukunft wird alles gut, wenn alles vorbei ist, was gerade so
schwer ist und bessere Zeiten angebrochen sind, sondern jetzt, unter und mit diesen
Bedingungen. Die Traurigkeit ist ja eine unerlässliche Zutat, aus der unter Gottes Hand
Freude wird oder werden soll. Die Schuld ist eine unerlässliche Zutat, aus der unter Gottes
Hand Vergebung sich ereignet. Unser Glaube beseitigt nicht die Schattenseiten des Lebens,
sondern er verwandelt sie.
Das Bild von der Geburt, das Jesus hier benutzt, ist da ganz passend, auch wenn ich es als
Mann etwas anmaßend finde, überhaupt über Geburtsschmerzen zu sprechen. Ich wage es
trotzdem: Die Mühen der Geburt, die Wehenschmerzen – sie sind ganz wesentlicher Teil des
Geburtsprozesses. Ohne sie geht es nicht voran, ohne sie würde das Kind nicht das Licht der
Welt erblicken.
Schaue ich so auf diese Welt und das Leben ist ein ganz anderer Umgang mit der Gegenwart
möglich: All die Fragen, die Zweifel, die Ängste und die Verzweiflung unseres Lebend
dürfen sein. Sie müssen nicht unter einer vermeintlichen Stärke, unter realitätsferner
Hoffnung und unbarmherzigen Durchhalteparolen versteckt werden.
Es ist richtig und wichtig und gut, wenn wir zum Beispiel an den militärischen Weg, den
diese Welt momentan wieder einschlägt, unsere Fragen und Anfragen haben. Ich bin zutiefst
erschrocken, wie der Krieg in der Ukraine wieder all die Muster von Freund-Feind-Bildern,
militärischer Hochrüstung, Sicherheit allein durch Abschreckung aktiviert, die wir doch
überwinden wollten. Wo soll das hinführen? Diese Frage muss erlaubt sein und sie muss
gestellt werden? Vielleicht kommt durch all die Schrecken dieses Krieges doch auch ein
Verwandlungsprozess in Gang, dass es so mit der Menschheit nicht weitergehen kann.
Und auch für die Fragen und Ängste und Zweifel im eigenen Leben gilt: Sie dürfen sein! Ich
darf sein mit all dem. Diese barmherzige Sicht auf mich und meine Mitmenschen mag die
Schadenfreude oder sogar den Spott anderer heraufbeschwären: Ihr werdet weinen und
klagen, aber die Welt wird sich freuen, sagt Jesus. Die Welt mit ihrem Recht des Stärkeren,
mit ihrer einseitigen Leistungsorientierung mag nicht viel übrig haben für das Eingeständnis
von Schwäche, von Angst; sie mag nicht viel übrig haben für die Erkenntnis, dass ich mich
nicht selbst rechtfertigen kann, sondern es dafür ein gnädiges Gegenüber braucht, wie es nur
Gott ist. Und dennoch, dennoch fährt Jesus fort: ihr werdet traurig sein, doch eure
Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
Nur aus diesem Gesehen- und Angenommenwerden mit allem, was mich und diese Welt
ausmacht, nur mit all den Fragen, dem Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit, nur mit dem
Irrewerden und Verzweifeln an dieser Welt kommt ein Reifungsprozess in Gang, ein durch
Güte geprägter Verwandlungsprozess.
Das Ende dieses Reifungsprozesses ist nicht offen. Ich möchte noch einmal auf das Bild von
der Geburt zurückkommen. Als meine Frau mit unserer dritten Tochter in den Wehen lag, hat
sie irgendwann ziemlich entkräftet und genervt gefragt: „Bringt das hier überhaupt
irgendwas?“ Und die Hebamme hat ihr geantwortet: Auf jeden Fall! Die Hebamme konnte
das aus ihrer Erfahrung sagen und sie hat Recht behalten: Unsere Malina hat wenig später das
Licht der Welt erblickt.
So wie die Hebamme aus ihrer Erfahrung sagen konnte, dass all das, wodurch meine Frau da
gerade durch musste, etwas bringen wird, so können wir aus unserer Glaubenserfahrung
sagen: Das Ende unseres Reifungsprozesses ist nicht offen, sondern Ostern, oder wie es im
Text heißt: Eure Freude soll niemand von euch nehmen! Aber bis dahin müssen wir wohl
immer wieder durch einiges hindurch. Und dabei darf sein, was ist, alles, denn ihr werdet
traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.
Amen