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Impuls zu Lk 1,79 am 24.2.2023 anlässlich des Einmarsches Russlands in die Ukraine (J. Schwarz)

Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. (Lk 1,79)
Unter diesem Leitvers steht unser Friedensgebet heute Abend. Richte unsere Füße auf den Weg des
Friedens.
Diese Worte sind Teil einer Geburtsverheißung. Jesu Geburt wird so angekündigt. Er sollte es sein,
der unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet. Über 2000 Jahre ist diese Verheißung nun schon
alt. Ein ehrlicher Blick auf diese 2000 Jahre sagt uns: Da sind wir noch lange nicht angekommen, auf
dem Weg des Friedens. Vielmehr scheint sich die Blutmühle des Krieges immer weiter zu drehen.
Genau heute vor einem Jahr hat Russland mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine
begonnen. Dieser Angriff war und ist ein Verbrechen und durch nichts zu rechtfertigen. Ein Jahr nun
schon Bomben, Raketen, Verwundete an Leib und Seele, Verstümmelte, Tote. So sieht es aus, das
Bild des Krieges und wir wissen es nur zu gut.
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Stattdessen wird der Frieden mit Füßen getreten, in
der Ukraine, im Jemen, im Iran, in Afghanistan – die Kriegsliste dieser Welt ist lang.
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Für mich klingen diese Worte heute wie eine
flehentliche Bitte, nicht wie eine Verheißung. Sie klingen wie eine Bitte, ein anderer möge unsere
Füße doch auf den Weg des Friedens richten. Wohnt dieser Bitte nicht ein kindlicher Wunsch inne,
ein andere, eine höhere Macht möge es schon richten für uns, möge unsere Füße auf den Weg des
Friedens richten, weil wir es nicht vermögen? Es ist nicht falsch, um den Frieden zu bitten, sich mit
seiner Hilflosigkeit und Ohnmacht an Gott zu wenden. Aber diese Worte sind als seine
Geburtsverheißung, ganz eng geknüpft an den Weg des Mannes aus Nazareth. Ihm zu folgen, richtet
unsere Füße auf den Weg des Friedens. Wir sind keine Kinder, sondern erwachsene Menschen,
verantwortlich für unsere Entscheidungen, verantwortlich für unser Tun, verantwortlich auf welche
Wege wir unsere Füße richten.
Seit einem Jahr nun ringen wir um einen Weg, wie mit diesem verbrecherischen Angriffskrieg
Russlands gegen die Ukraine umzugehen ist.
Die Ukrainer wehren sich gegen den russischen Überfall. Und sie tun dies mit dem Mut der
Verzweiflung und haben das Völkerrecht auf ihrer Seite. Lässt sich daraus automatisch folgern, dass
die Ukraine dann bitte auch mit den notwendigen Möglichkeiten, sprich Waffen, ausgestattet
werden muss? Mit welchem Ziel? Ist dieser Konflikt überhaupt militärisch zu lösen? Ich habe große
Zweifel daran. Zugleich kommt es mir so vor, als wäre die westliche Welt blind geworden für andere
Wege, die die Gewalt beenden könnten. Wir reden von Panzern über das Wetter, sprechen nur noch
von Mardern und Leoparden und viel zu wenig über Tauben. So sehr ich die Menschen in der Ukraine
unterstützt und beschützt wissen möchte vor den mörderischen Angriffen, so verzweifelt bin ich
doch über die Einseitigkeit dieses Weges. Das Leid der Ukrainer darf nicht als Freifahrtschein
missbraucht werden, um die Eskalationsschraube immer noch eine Umdrehung weiter zu drehen.
Niemanden steht es zu, der Ukraine ihr Recht auf Selbstverteidigung abzusprechen. Und doch bin ich
zutiefst verunsichert, ob das Ziel der Selbstverteidigung überhaupt mit militärischen Mitteln zu
erreichen sein wird.
In vielen Argumentationen wird das abgrundtief Böse z.B. in Gestalt Hitlers herangezogen, um
Gewalt zu rechtfertigen. Und vielleicht mag es einen Punkt geben, wo es zu spät ist, um dem Wahn
des Krieges zu entgehen.
Dennoch möchte ich nicht müde werden, gerade angesichts des unermesslichen Leides, das jeder
Krieg – auch ein Verteidigungskrieg – mit sich bringt, ich möchte nicht müde werden, darauf
hinzuweisen, dass Krieg immer das Ergebnis eines langen Prozesses ist. Jeder Krieg hat seine
Vorgeschichte. Wo es so weit gekommen ist, dass die Bomben brüllen und die Menschen schweigen,
haben Menschen im Vorfeld auf beiden Seiten einen Beitrag zur Eskalation geleistet. Wir werden
Krieg immer als legitimes Mittel, als ultima ratio rechtfertigen, solange wir uns nicht intensiver mit
seinen Ursachen auseinandersetzen.
Ich spreche von der Spaltung der Menschen in Gute in Böse. Ich spreche von den Demütigungen, die
jeder Aggression vorausgehen; von den Traumata, die ganze Völker in einen kollektiven Größenwahn
eines Einzelnen treiben können. Wir Deutschen wissen doch aus eigener Erfahrung, wie schnell das
passiert. Ich spreche von den Ängsten, Status, Heimat, Lebensstandard oder Macht einzubüßen.
Wir müssen uns sehr bewusst sein, dass wir uns wieder auf den Weg des Krieges gemacht haben.
Vielleicht war das nötig, weil im Vorfeld dieses Krieges die Beziehungsgestaltung zwischen Ost und
West gescheitert ist. Unabwendbar ist dieser Weg nie und wir dürfen uns nicht anstecken lassen von
immer neuen Umdrehungen der Eskalationsschraube von Angst und Gewalt.
Natürlich ist das so leicht gesagt und so schwer ins konkrete Leben zu übersetzen. Das weiß ich auch.
Und dennoch gehen mir die Worte Jesu nicht aus dem Ohr: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie
werden Gottes Kinder heißen. Und ich habe größte Zweifel, dass auf dem Weg der Gewalt ein
nachhaltiger Frieden erreicht werden kann. Wir bringen unseren Kindern bei, sie mögen sich im
Sandkasten nicht im Streit über die Schaufel mit derselben die Köpfe einschlagen, sondern reden und
nach einem Kompromiss suchen.
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Es müssen wieder Wege der Diplomatie beschritten
werden. Beide Seiten müssen wieder miteinander reden, statt Waffen sprechen zu lassen. Dazu ist
ein Einlenken auf beiden Seiten gefragt. Es müssen Friedensverhandlungen herbei, wenn es nicht
anders geht, ohne Vorbedingen. Selbst der verbrecherischen politischen Führung Russlands muss
eine Exit-Strategie aus dem Weg der Gewalt ermöglicht werden, auch wenn sie selbst diesen Weg
beschritten hat. Wie lange wollen wir denn noch wie Kinder voreinander im Sandkasten sitzen und
sagen: Der andere hat aber angefangen, deshalb mache ich jetzt weiter!
Und noch ein Wort Jesu will mir nicht aus dem Ohr: Liebet eure Feinde! Das scheint unmenschlich in
dieser Situation, in der wehrlose Menschen, Frauen und Kinder, wahllos getötet werden. Könnte es
aber nicht doch sein, dass die Liebe die einzige Macht auf dieser Erde ist, die mich selbst in dem, der
mir wodurch auch immer zum Feind geworden ist, einen Menschen sieht, der leben will – einen
Vater, eine Mutter, ein Kind. Könnte es nicht doch sein, dass diese unmenschlich erscheinende
Forderung, endlich Schluss zu machen mit der Spaltung der Menschheit in Freund und Feind und
stattdessen den Menschen hinter all seiner Aggression zu ahnen, könnte das nicht vielleicht doch
unser einziger Weg sein, die wahre Unmenschlichkeit des Krieges zu überwinden? Es erscheint
utopisch und ist vielleicht gerade deshalb wahr.
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Das ist nicht nur eine Bitte, das ist Teil der
Geburtsverheißung Jesu. Und er hat unsere Füße schon längst auf diesen Weg des Friedens gerichtet.
Gehen müssen wir ihn allerdings selbst.